Weidengeschichten

Der zoologische Garten

Als ich in die Schule musste, fuhren wir einmal mit der Lehrgotte in den Zoo. Zuhause erzählte ich begeistert von Affen, Elefanten und Zebras. „Um viele und unbekannte Tiere zu sehen, bräuchte man kaum so weit zu reisen“, brummte Grossmutter und nahm uns Kinder am nächsten Tag mit zur grossen Weide am Weier hinter dem Haus. Zuerst hiess sie uns um den mächtigen Baum stillsitzen. Bald sahen wir Kohl-, Blau- und Weidenmeisen, welche fleissig die Läuse von den Weidenästen zusammenpickten. Kurz darauf versuchte ein Sperber, eine der Sammlerinnen zu erhaschen. Als die Elstern, welche oben im Baum ihr Nest hatten erschienen, verzog sich der Raubvogel jedoch schnell wieder. Erst nach einer Weile bemerkten wir den Steinkauz, welcher auf einem Ast den Tag verbrachte. Als wir dann auf Geheiss der Grossmutter näher zum Stamm der alten Weide hingingen, zeigte sie uns die Stellen, wo der Rehbock die Rinde abgefegt hatte und die Stockausschläge, von denen die Hasen das Laub abgefressen hatten. Nun erkannten wir auch die Löcher, welche die Raupe des Weidenbohrers gefressen hatte und rochen den strengen Essiggeruch, der daraus entströmte. Einmal erhaschten wir sogar einen Blick auf die feuerrote Raupe. Auf einem Ast mit vielen Weidenkätzchen unterschieden wir gleich sieben verschiedenartige Wildbienen. Als wir am Weidenstamm herumklopften, verschwand eine Haselmaus mit ihren Jungen zwischen den Wurzeln, eine Fledermaus floh oben aus einer Höhlung und aus einer anderen surrten erbost einige Hornissen, was nun uns zur Flucht trieb. Wir setzten uns in einiger Entfernung an das Teichufer. Die mächtigen Wurzeln der Weide reichten bis hierher und dünne, haaränliche Ausläufer trieben bis weit in den Teich hinaus. Zwischen ihnen verbargen sich Teich- und Kammmolche und kleine Fische, wir nannten sie Groppen, huschten hin und her. „Hier habt ihr euren Zoo“, sagte Grossmutter, „er liegt kein Dutzend Meter von unserem Haus entfernt“.